Reisebericht: Jahan Dahl Land, Grönalnd 2003

Grönland ist ein wunderbares Ziel für eine Trekkingreise. Es scheint als wäre alles möglich, vom Spaziergang zur Expedition, von der Blumenwiese bis zur endlosen Weite des Inlandeises.

Gerade der Süden Grönlands bietet eine Menge abwechslungsreicher Möglichkeiten. Das Gebiet um ist verhältnismässig gut erschlossen, es existieren Trails bis weit in den Süden der Insel. Wer nicht auf festen Wegen unterwegs sein will wird garantiert nicht unterfordert. Die meisten Gipfel der Gegend sind unerstiegen und es warten noch einige interessante Passagen über das Inlandeis.

Wir verbrachten 21 Tage in Grönland, grösstenteils im nördlich von Narsarsuaq gelegenen Johan Dahl Land. Während der 18 tägigen Tour legten wir über 200km auf einer Runde über das Inlandeis und der Abrruchkante des Qajuuttap zurück.

Mitte Juli 2003 fuhren wir mit dem Zug nach Kopenhagen um von dort nach Narsarsuaq zu fliegen. Nach langer Vorbereitung fiel die Entscheidung für dieses „Städtchen“ an der Südspitze Grönlands vor allem wegen der schnellen und günstigen Erreichbarkeit sowie der vielfältigen Möglichkeiten für ein ausgedehntes Trekking die sich in dieser Region bieten. Narsarsuaq kann als Verkehrsknotenpunkt für den Süden Grönlands bezeichnet werden, alle Inlandsflüge schließen sich hier an. Der Flughafen wird 2 mal wöchentlich von Kopenhagen aus angeflogen und der Ort bietet die nötigsten Versorgungsmöglichkeiten inklusive Supermarkt, Tankstelle und Jugendherberge.

Nachdem wir unsere Benzinflaschen aufgefüllt hatten starteten wir am frühen Nachmittag ins Mellemland. Der Plan war eigentlich, diesen östlich von Narsarsuaq gelegenen Landstrich zu durchqueren und über das Eis nach Norden zu gehen. Schon am zweiten Tag wurde uns allerdings klar, dass das Gelände dies nicht zulassen würde. Mellemland ist derart zerklüftet, dass man kaum 500m ohne einen Gegenanstieg zurücklegt. Wir krochen mit erschreckend schlechten Tagesleistungen dahin obwohl wir durchaus flott unterwegs waren. Klar, die ersten paar Tage geht es nie gut voran, soll es ja auch nicht, dennoch war der zuhause mit der 150:000er Karte zurechtgelegte Plan wohl ein wenig übertrieben. Der Zeitplan drohte schon am dritten Tag gefährlich knapp zu werden. So würden wir es nicht in 18 Tagen über das Inlandeis zur großen, nordwestlich von Narsarsuaq gelegenen Abbruchkante schaffen. Also Planänderung, noch schnell die Abbruchkante des Eisfjords besichtigt und in einer nicht enden wollenden Tagesetappe hinunter ins Flower-Valley (in dem auch nicht mehr Blumen sind als woanders in der Gegend). Ein Boot bringt uns über den Fjord in die alte, von Erik dem Roten gegründete Siedlung Quassiarsuk. Heute leben hier hauptsächlich Schafzüchter und wenige Fischer. Noch etwas angenervt von der Pleite im Mellemland und einem weiteren verlorenen Tag zwecks Warterei auf das Boot geht es nun endlich wieder weiter. Auf einem guten Weg kommen wir schnell nach Norden den Fjord entlang und nach der letzen Farm nach Osten ein Tal hinauf ins Johan Dahl Land. Jetzt kommen auch die Moskitos zurück, die unten am Fjord kaum vorhanden waren. Also wieder die Netze über den Kopf.Grandiose Landschaft, immer wieder der Blick zurück auf den Fjord mit den Eisbergen. Die Etappe heute ist abwechslungsreich, einige Kletterstellen sind dabei und wir finden zufrieden einen wunderbaren Zeltplatz. Am nächsten Tag steht der Abstieg ins Tal des Kukolooq an; stellenweise sehr steil öffnet sich die Landschaft dem Flussbett entgegen und wir finden punktgenau den wahrscheinlich einzigen Übergang über die letzte Schlucht, die uns vom Fluss trennt. Morgen sind wir am Nordboso. Mittlerweile läuft es sich ganz leicht, es sind auch nicht mehr so viele Gegenanstiege zu machen. Nur der Eisregen, der sprichwörtlich aus heiterem Himmel eingesetzt hat stört ein wenig. Innerhalb einer halben Stunde fällt die Temperatur von 20 auf ca. Null Grad und der Regen hinterläßt eine dicke Eisschicht auf den Klamotten. Was solls, wir sind in Grönland. Außerdem liegen wir wieder gut in der Zeit, also bauen wir die Zelte am Südufer des Nordboso auf und verbrauchen die Packung Milchpulver für eine heiße Schokolade. Wir haben jetzt unseren Rhythmus gefunden, gehen morgens ca. 4 Stunden, eine Stunde Pause und nachmittags noch mal drei bis vier Stunden, je nach Zeltgelegenheit. Das Essen wurde richtig geplant, wie immer die größte Sorge, und das Wetter spielt so vortrefflich mit, dass man es kaum glauben mag. Am Ende sollte es ein einziger Regentag in drei Wochen gewesen sein.

Ganz plötzlich, nach einem nervtötend faden Hatsch öffnet sich der Blick ins Hullet. Der Sydgletscher bricht hier in einen kleinen Schmelzwassersee und bildet einen chaotischen Verhau aus Eisblöcken. Man steht einige hundert Meter über dem See und kann die Größe und Weite kaum greifen. Am nächsten Tag, nach einemnervtötend faden Hatsch öffnet sich der Blick ins Hullet. Der Sydgletscher bricht hier in einen kleinen Schmelzwassersee und bildet einen chaotischen Verhau aus Eisblöcken. Man steht einige hundert Meter über dem See und kann die Größe und Weite kaum greifen. Am nächsten Tag gehen wir hinunterum den Zugang und die Bedingungen auf den Nordgletscher zu erkunden. „In einer halben Stunde sind wir da“ so schätzen wir, doch der Gletscher kommt einfach nicht näher. Nach fast drei Stunden sind wir dann am Eis und finden beste Bedingungen vor. Der Rückweg zu den Zelten führt uns durchs Hullet, wo viele der bis zu15m hohen Eisberge gestrandet daliegen. Klar dass man das nicht verpassen darf und hochklettern muss. Vom Hullet aus, über den Nordgletscher gehen wir am nächsten Morgen aufs Inlandeis. Es ist ein seltenes Erlebnis, der Einsamkeit und Weite auf dem Eis ausgesetzt zu sein und die vielen Gesichter der grönländischen Gletscher kennen zu lernen. Nach einer sehr langen Etappe biegen wir wieder nach Süden auf den Nordbogletscher ab und kommen spät abends nach einem schwierigen Ausstieg wieder ans Land. Die Gegend hier ist vollkommen öde und trostlos, eine nicht enden wollende Blockhalde, gelegentlich Eis oder Schlamm, manchmal beides.

Noch einen ganzen Tag stolpern wir dahin, bis wir wieder in halbwegs akzeptablem Gelände sind. Von hier aus wollen wir auch die Valhaltinde besteigen. Die zweite deprimierende Aktion der Reise. Hätten wir nur eine Woche vorher, als wir den Berg von Süden gesehen hatten besser aufgepasst! Wir hätten einfach sehen müssen, das man von Osten kommend wahrscheinlich Kühe hochtreiben kann. So stehe ich jetzt fluchend im Bergschrund des Eisfeldes in der Westflanke und kann nicht fassen wie wir die Eisschrauben, Pickel und das Seil in den Zelten lassen konnten. Hier ist Ende. Aber es gibt ja vielleicht direkt von Süden noch eine Möglichkeit. Die Möglichkeit war dann eine Stunde später ein sehr steiler, bröseliger und akut steinschlaggefährdeter Hang der einfach keinen Sinn mehr macht. Bevor jemandem was auf den Kopf fällt… Es ist jetzt Mittwoch, wir haben noch sieben Tage. Abzüglich der Reservetage können wir also noch die Abbruchkante des Qajuuttap Gletschers mitnehmen. Südlich des Thor Sö geht es also gerade nach Süden, hinab ins Tal und mit neuem Geschwindigkeitsrekord nach Westen.
Plötzlich ist die Abbruchkante da. Wir können es nicht glauben; das erste mal überhaupt weiter zu sein als wir dachten… da stimmt was nicht. Aha, immer noch eineinhalb Stunden bis wir da sind. So ist’s in Ordnung! Der Gletscher bricht hier 80m tief in den Fjord ab. Hausgroße Stücke stürzenins Wasser und verursachen wahre Erdbeben im Fjord. Die Geräuschkulisse ist überwältigend, erinnert an Gewitter und auf Beton kratzendem Stahl und begleitet uns die ganze Nacht hindurch. Noch zwei lockere Tagesetappen sind es bis Quassiarsuk zurück. Wir lassen uns jetzt Zeit beim gehen, essen die Reserven und sind glücklich. Sonntag sind wir in Narsarsuaq.

Sonntag gibt es kein Bier in Grönland. 18 Tage, 200km und es gibt Sonntags kein Bier. Nicht zu fassen!

Grönland erreicht man von Europa aus über Kopenhagen und Narsarsuaq. Von hier gehen Anschlussflüge zu den übrigen Destinationen. Bei der Planung sollte man bedenken, dass alles ausserhalb der Standard-Flugrouten, z.B. Helikoper aber auch Charterboote sehr schnell sehr teuer wird. Eine Halbe Stunde Helikopterflug kostet schnell einige Hundert Euro! In Punkto Verpflegung sollte man in Grönland nichts dem Zufall überlassen. Die KNI-Läden in Narsarsuaq und Quassiarsuk, die wir besucht hatten sind klein, auf Fast Food spezialisiert und weit entfernt davon den Bedarf von Individualtouristen über Nudeln, Reis und Tomatensauce hinaus zu decken. Wir waren für die drei Wochen komplett mit Gefriergetrocknetem versorgt, das wir von zu Hause mitgenommen hatten. Gleiches gilt für die Ausrüstung: Ausser Klebeband und ein paar Eisenwaren ist nichts, har nichts zu bekommen. Weder Zelte noch Kleidung oder Kocher haben wir gesehen. Übrigens auch kein Gas!

Wer nach Grönland geht sollte wissen was er tut. Heute, gut 5 Jahre danach fällt mir erst auf, wie naiv wir waren, dorthin zu gehen. Die Wildnis beginnt sofort hinter der Landebahn, es gibt schlichtweg keine Infrastruktur die mehr als ein paar wenige Kilometer über die Grenzen eines Dorfes hinausreicht. Danach kommt meist hunderte Kilometer nichts. Heute weiss ich, welches Wetterglück wir hatten.