Reisebericht: Grönland 2012 – Klettern auf der Insel Pamiagdluk

Der Wetterbericht den wir kurz vor dem Abflug in Kopenhagen abrufen verspricht nichts Gutes: 100 km/h Wind, starker Regen, Wellenhöhe 2,7m. Grönland wir kommen! Wir schließen Wetten ab wann es dem Ersten schlecht wird: noch in der Boeing, im Hubschrauber oder erst auf dem Boot?
Unsere Reise führt uns auf die Insel Pamiagdluk im äußersten Süden Grönlands. Wir wollen klettern, am besten Neuland betreten, unberührte Natur erleben. Weitab von der Zivilisation 3 Wochen „draussen sein“. Ein Satphone ist die einzige Versicherung für den Notfall. Die Anreise führt von München über Kopenhagen weiter nach Narsarsuaq. Dort geht es mit einem Hubschrauber nach Nanortalik. Hier läuft unsere komplizierte Logistik zusammen: 7 Leute müssen mitsamt ihrem Gepäck ankommen, wir müssen ein Boot finden das uns auf die Insel bringt und vor allen Dingen unsere Kiste ausfindig machen die CCS schon vor Wochen auf den Weg gebracht hat: unser komplettes Essen, alle Zelte und ein Haufen Kletterkram sind da drin. Ohne die Kiste: keine Expedition. Noch in Kopenhagen bekomme ich eine Email, sie stünde „irgendwo im Hafen“ neben dem Gebäude der Royal Arctic. Ah ja.

Angespannt sitzen wir im Flieger. Grönland empfängt uns garstig. Der Wetterbericht hat nicht gelogen. Der Hubschrauber fliegt mit viel Verspätung – aber wir kommen an. In Nanortalik empfängt uns Niels . Er leitet das Tourismusbüro und hat schon eine Reihe Expeditionen unterstützt. Schnell wird klar, dass er seinen Job beherrscht. Er hat uns ein kleines Häuschen direkt am Fjord reserviert, Bier ist auch da und Nudeln sind schnell besorgt. Unsere Expeditionskiste findet sich auf Anhieb „irgendwo im Hafen“ und Niels hat sogar schon ein Boot organisiert. Das Wetter wird zum Abend hin auch besser; ein guter Start! Wir packen noch die Ausrüstung zusammen und fallen zufrieden und gespannt auf morgen in die Betten. Keiner schläft so richtig gut Am nächsten Morgen teilen wir uns auf: fünf Leute kümmern sich ums Gepäck und packen die Kiste aus, die wir Wochen zuvor mühsam gepackt haben. Alles ist heil und trocken angekommen. Das Essen, die Zelte und der Kletterkram ist schnell in große Seesäcke verpackt und kann auf das Boot geladen werden. Der Rest der Truppe spricht derweil mit Niels letzte Details ab: wann wollen wir wieder abgeholt werden, wann sollen wir ihn kontaktieren und wo gibt es günstige Plätze für ein Basislager…

Nachdem letzte Einkäufe erledigt und die Benzinflaschen gefüllt sind, geht´s auch schon aufs Boot. Die Fahrt ist atemberaubend. Wir gleiten zwischen den Eisbergen durch die Fjorde, die Landschaft ist fantastisch und erst als alle gut durchgefroren sind verlassen wir das Deck und gehen in die Kabine. Nach gut drei Stunden Fahrt erreichen wir Pamiagdluk. Das Boot kann wie geplant am Abfluss des Sees Anordliuitsoq anlanden, das Gepäck ist schnell entladen. Nach nicht einmal 5 Minuten sind wir allein. Das Boot dreht ab, wir schauen hinterher, schieben den Gedanken ob das jetzt alles so clever ist beiseite und beginnen mit der Suche nach einem Lagerplatz. Wir finden einen guten Fleck ca. 800 Meter nordöstlich des Sees, direkt am Fjord. Das Wetter wird durch den Tag immer besser, teilweise gibt es viel blauen Himmel, nur der Wind will nicht nachlassen. Es bläst so stark, dass wir fast mit unserem Küchenzelt abheben und den Aufbau auf einen ruhigeren Tag verschieben müssen. Das Aufstellen der vier kleinen Zelt klappt dafür problemlos. Der nächste Morgen ist windstill und wolkenlos. Ein Eisberg schiebt sich an den Zelten vorbei und es ist angenehm warm. Raus aus dem Zelt, Küchenzelt aufstellen, Kaffee und Frühstück und schnell los die Insel erkunden. Kaum dass wir unterwegs sind kommen die Mücken. Myriaden! In wenigen Minuten bin ich total entnervt, mein Kopfnetz habe ich vergessen weil es bei den Zelten am Fjord kaum Viecher gab. Das wird mir nicht mehr passieren! Wir gehen ein Tal nach Westen zu einem Punkt den die 96er Bayerlandexpedition „Märchenwiese“ nannte. Tatsächlich recht ansehnlich der Ort: neben einer grünen Wiese nebst kleinem See sind Granitblöcke in der Größe von Einfamilienhäusern bunt durcheinander gewürfelt. Wir finden kaum durch dieses Labyrinth, sind aber mit der Erkundung sehr zufrieden. Denn wir haben für morgen ein Ziel erspäht: eine schöne Wand auf der Südseite des Frenchbird Peak (P1242) sticht uns für ein erstes Kletterabenteuer ins Auge. Am nächsten Morgen sind wir in einer guten Stunde am Einstieg. Es folgt anregende, über weite Strecken nicht absicherbare Kletterei. Alles in allem aber nicht schwierig und damit der perfekte Auftakt. Die Kletterei zieht sich über 8 Seillängen über Platten, einige wenige Verschneidungen und Risse auf einen Grasfleck. Auf der anderen Seite des Rückens finden wir einen leichten Abstieg. Völlig unerwartet haben wir die erste Neutour gepunktet, einfach so, ohne viel Angst und Anspannung, dafür mit einer guten Portion Spaß. So darf der Urlaub weitergehen!
 
Stefan und ich haben uns den „50er“ Pfeiler am 1100m hohen Naujarssuit vorgenommen. Am Vortag wandern wir alle zu einem daneben liegenden Hügel (P788), sodass wir eine Chance wittern den Abstieg im Fernglas zu erkunden. Der beispiellose Ausblick vom Gipfel lenkt uns aber derart ab, dass wir nur einen kurzen Blick in die Flanken des Naujarssuit werfen. Jaja, passt schon, das geht schon irgendwie runter. Lieber wieder den Ausblick auf die offene See genießen. An diesen Fehler werden wir uns noch erinnern. Wir stehen um 4 auf, gehen um 5 recht zügig los. Nach 20 Minuten eine Flussquerung, dann immer am See entlang, direkt auf den Ostpfeiler zu. Als uns die Sonne einholt wird es sofort unerträglich heiss und die Moskitos beginnen mal wieder mit ihrem Festmahl. Die Luftnot unter dem Moskitonetz verdirbt es mir total; ich schleppe mich eher zum Einstieg als dass ich aufmerksam steigen würde. Wild um uns fuchtelnd um die Mücken abzuhalten legen wir die Gurte an und steigen gegen 7 Uhr morgens in die Wand ein. Zunächst seilfrei, ab der ersten schwierigen Stelle gesichert. Nicht viel später sind wir uns sicher, dass dies mit zu den schönsten Touren zählt die wir je geklettert sind.

In den Alpen wäre dieser Pfeiler eine völlig überlaufene Modetour. Aber hier sind wir völlig allein. Wir finden in der ganzen 700m hohen Wand nicht die kleinste Spur einer vorherigen Begehung. Im letzten Wanddrittel haben wir den Eindruck nicht mehr auf der von den Bayerländern begangenen Route zu sein; es wird deutlich schwieriger als in deren Expeditionsbericht angegeben.Nach zwei Seillängen in einem genialen Riss, gerade wenn das Seil aus ist kommt ein perfekter Standplatz. 2 Quadratmeter zum stehen, ein gutes Köpfl. „Stand“ und „nachkommen“ rufen wir fast gleichzeitig. Wir fliegen. Beim sichern immer den Blick nach Osten gerichtet: die Fjorde, die Eisberge, 1000 Gipfel. Nach 8 Stunden nonstop geht gegen 13 Uhr die letzte anspruchsvolle Länge an Stefan und wir finden uns überglücklich auf dem Gipfelplateau des Naujarssuit wieder. Fast eine Stunde sitzen wir hier und können uns kaum satt sehen. Gesprochen wird wenig, wir sind wie erschlagen von der Kraft dieser Landschaft. Irgendwann holt uns die Notwendigkeit des Abstiegs ein. Wir haben´s gestern ja gesehen: vom Gipfel kurz nach Westen, dann in ein Kar nach Süden runter bis zu einem See. Am Ufer nach Osten bis in einen Sattel und in einer weiteren Stunde ins Küchenzelt. Nichts da! Nachdem wir 400 Höhenmeter recht flott über Firnfelder abgefahren sind stehen wir über einem ebenso hohen senkrechten Abbruch. Wir fluchen. Wie konnten wir das denn übersehen? Keiner hat Lust wieder auf den Gipfel hochzusteigen… vor meinem inneren Auge sehe ich uns schon über die Route abseilen. Mir graust. Als letzte Option legen wir den Wiederaufstieg nicht über den Abstiegsweg sondern holen weit nach Westen aus. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit hier in das richtige Kar zu kommen. Oder wenigstens zu sehen wo es runter gehen könnte. Wir erreichen einen weiteren Abbruch, klettern ein wenig über heikles Gelände ab, richten eine Abseilstelle ein und fahren in der Hoffnung ab jetzt auf dem richtigen Weg zu sein. Zurück können wir jetzt nicht mehr. Im Kar nehmen wir den alten Plan wieder auf, nach Süden zum See. Über Platten, Schneefelder und Moos geht es relativ problemlos dahin, noch ein zweites Mal abseilen und endlich haben wir den See erreicht. Keiner spricht es laut aus, aber die Anspannung lässt merklich nach als uns klar wird, dass wir heute noch das Lager erreichen.

Seit Tagen stehe ich an diesem Bach und versuche das Menü aufzubessern. Ich sehe die Fische. Mittlerweile kann ich sogar zielen und ihnen den Blinker zehn Zentimeter vor´sMaul werfen. Sie schauen ihn nicht mal an! Würde ich mich mit einem Eispickel ins Wasser stellen hätte ich wohl eher so ein Tier erschlagen. Besonders lustig: andauernd springen sie aus dem Wasser und beissen sich leckere Fliegen aus der Luft – es gibt ja genug. Ein deutliches Zeichen dass sie Hunger haben; und ich den falschen Köder. Einen Tag später findet Verena einen Blinker. Viel silberner als unserer. Beim zweiten Auswurf beisst er dann auch an – der Saibling. Stolz, als wäre er über einen Meter lang gehe ich damit ins Base Camp. Am Ende ist es doch nur eine kleine Gabel für jeden. Egal! Ziel erreicht: ich habe das Menü aufgebessert! Ein Fest.
Wenige Tage später sehe ich dem Blinker hinterher wie er im Atlantik versinkt. Das war der erste und letzte Saibling. Wir sind halt keine Fischer.
Der Morgen nach unserem Saiblingsfest bringt einen Ausflug in den Norden der Insel. Nach 30 Minuten Gehzeit erscheint uns die Wand an einem des Frenchbird Peak östlich vorgelagerten Buckel recht verlockend. Schon von Weitem schaut die gut gestufte Wand herüber. Gleich südlich davon scheint es auch recht unkompliziert wieder herunter zu gehen. Also los. Die ganze Gruppe steigt in 3 Seilschaften ein. Die Kletterei durch Risse und seichte Verschneidungen ist genial. Der Genuss wird nur durch die immer anwesenden Moskitos getrübt. Wir werden auf jedem Meter gestochen. Blöd für den Vorsteiger: man sieht mit dem Kopfnetz so schlecht, dass man kaum klettern kann. Sichern wird auch schwerer weil das Schätzen der Rissbreite kaum möglich ist. Ständig röchelt es unter mir und jemand würgt wieder eine Fliege hoch. Der Name der Tour steht fest: wir einigen uns schnell auf „Die Folter endet nie„. Wir schaffen eine gut 600m lange Tour, stellenweise im 5. Grad fast direkt auf den Gipfel des P465. Oben haben wir ein wenig Ruhe vor den Viechern; aber kaum dass wir absteigen und unter 400m kommen sind sie wieder da. Es könnte so herrlich sein auf dieser Insel…
Die Tage vor unserer Abreise von Pamiagdluk sind eher trist. Stefan und ich ziehen am allerletzten Schönwettertag die „Stürmerkante„; Gunter und Heike gleichzeitig den „50er Pfeiler“. Danach kommt Sturm auf und der erste Regen des Urlaubs setzt ein. Der Sturm hält über zwei Tage an und verbiegt die massive Stange des Küchenzeltesganz ordentlich. Aber wieder haben wir Glück: Niels sagt via Satellitentelefon besseres Wetter voraus und versichert uns, dass uns das Boot abholen wird. Und tatsächlich: zum Einpacken sind die Sachen halbwegs trocken. Die Moskitos und Kriebelmücken sind dafür umso schlimmer. Zwei Tage waren sie wegen des Sturms wie vom Erdboden verschluckt. Auch scheinen sie zu ahnen, dass wir nicht mehr lange hier sein werden; sie schneiden sich noch ein letztes dickes Stück vom Schinken ab. Wir werden von einem betagten Fischerboot abgeholt. Betagt bedeutet, dass uns der Kapitän, in Sorge wir würden erschlagen, mit den Worten „this is no good mast“ unter Deck komplimentieren möchte. Wir missachten es, zu schön ist der Ausblick, zu wild die Landschaft. Zu viele Routen und Möglichkeiten erkennen unsere jetzt gut geschulten Augen in den links und rechts hochziehenden Wänden. Ich freue mich riesig über diesen Abgang – bis wir aus dem Fjord aufs offene Meer kommen. Der Sturm der letzten Tage hat die See ganz schön aufgewühlt. Stellenweise kommen uns über 3 Meter hohe Wellen entgegen und wir taumeln mittendrin herum. Schnell wird es zu kalt und zu nass. Am Ende sitzen wir alle sieben in der kleinen Kajüte. Zwei müssen in den Kojen liegen, drei sitzen auf der Back, einer steht und ein letzter streckt den Kopf auf dem Niedergang sitzend ein klein wenig in die frische Luft. Wir haben keine Ahnung wie langsam der alte Kahn ist: so geht es noch 7
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Spät kommen wir in Nanortalik an. Niels hat zu unserer Freude den Kühlschrank mit Bier gefüllt.Grönland verabschiedet sich mit einem strahlend schönen Sommertag. Gestern hatten wir noch einen gemütlichen Tag mit letzten Erledigungen, Postkarten schreiben und Bier trinken in Nanortalik verbracht. Auch ein Abschlussessen im Hotel hat rausgeschaut; wir können die Trockennahrung einfach nicht mehr sehen! Herrlich. Wir sind mehr als zufrieden! In den 18 Tagen auf der Insel sind uns vermutlich 3 Erstbegehungen mit 300m Wandhöhe bis zum 5. Schwierigkeitsgrad gelungen. Wir haben 2 der langen Routen der Bayerlandexpedition mit Wandhöhen bis 800m und Schwierigkeiten bis zum 6. Grad wiederholt. Das Beste: alles was wir an Material in den Routen vorgefunden haben war eine alte verblichene Schlinge am Ende der letzten Seillänge die wir auf dieser Insel klettern durften. Der Rest war clean. Auch wir haben nur ein paar Reepschnüre an den Abseilstellen zurückgelassen. Keine Katastrophen, niemand verletzt. Danke!