Svalbard 2011

Jürgen und ich werfen die Daunenjacken über und torkeln am Morgen des Karfreitag durch den Schneesturm zur Post. Wir haben es geschafft: Mit Hilfe der halben Hotelbelegschaft haben wir die Postlerin identifiziert und aus ihrem Karfreitagsrausch geklingelt. Tatsächlich: die Tür geht auf und eines unserer zwei großen Probleme ist gelöst. Wir bekommen ein Riesenpaket in die Hand gedrückt. Nun haben wir ein Zelt und Essen für fast zwei Wochen.
Von München aus läuft alles glatt: Einchecken, durch die Sicherheit, ein erstes Weißbier, ein zweites beim Warten in Berlin Tegel. Dann geht’s weiter nach Oslo. Dort treffen wir den Rest der Mannschaft und es geht weiter über Tromso nach Longyearbyen. Wir sind zu fünft, kennen uns alle kaum bis garnicht und blicken gespannt den kommenden Tagen entgegen.
Es dauert keine Minute bis man in der Arktis ankommt. Der Anflug über das eisige Meer lässt keinen Zweifel. Der kalte Wind und das vereiste Rollfeld holen dich ab. In die eine Richtung liegt der Isfjord, in die andere Richtung geht es in die Berge. Die Gedanken und Erwartungen an die geplante Tour werden nach Monaten endlich nach und nach real. Nun wird es ernst, und die für mich gewohnte Ruhe und Konzentration stellen sich ein.
Die Ankunft am Flughafen in Longyearbyen. Mein Name wird ausgerufen. Sofort ist klar, dass jetzt irgendetwas schief gegangen ist. Erstmal aufs Klo um Ruhe zu gewinnen. Bringt nicht viel, also doch an den Schalter. „Hi, I’m Markus“.
Es fehlt ein Stück Gepäck. Die Flughafenleute wissen noch nicht welches aber das ist ohnehin egal. Alles ist wichtig. Eine halbe Stunde später ist klar, dass Jürgen den Joker gezogen hat. Für uns macht es keinen Unterschied wen es getroffen hat: Wenn Jürgen seinen Kram nicht hat kann keiner von uns gehen. Wir sind gestrandet Es beginnt ein langes Hin und Her zwischen uns und den Flughafenleuten. Sie bieten uns einen Schlafsack an (!). Nett gemeint, hilft uns aber nicht aus der Patsche. Ich versuche zu erklären was wir vorhaben. Jürgen hat nichts Warmes anzuziehen und wir geraten total aus dem Zeitplan. Der nächste Flieger aus Oslo kommt erst in drei Tagen…
Die Leute von SAS reagieren schnell. Hier haben sie scheinbar Erfahrung mit nicht konventionell Reisenden. Sie würden uns gerne anbieten uns einfach im lokalen Sportgeschäft auf ihre Kosten einzudecken. Da aber Ostern ist sind die Geschäfte zu, und ob wir mit einem Hotel zufrieden wären? SAS bietet uns drei Tage Hotel für alle fünf mit Vollpension! Kommt jetzt doch noch das ersehnte Clubschiff? Organisiert schon mal die Polonaise! Sparen wir uns den Scheiß im Eis!?


… da war aber noch was mit Ostern…
Zaghaftes Nachfragen ergibt Folgendes: An Ostern hat hier schon am Gründonnerstag alles zu. Folglich liegt die vorgeschickte Ausrüstung in der ebenfalls bis Dienstag geschlossenen Post. Die Knarre können wir auch nicht abholen weil der Ingenieur Paulsen jeden Tag nur morgens und abends für jeweils zwei Stunden öffnet… Kein schlechter Start! Wir machen es so wie wir es gelernt haben: erstmal laut lachen, dann die Situation akzeptieren, in Teilprobleme zerlegen, priorisieren und beharrlich abarbeiten. Wir haben ja eh keine Wahl. Wir lösen Problem Nummer 1, indem wir die Hoteloption wählen. Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch keiner von uns wie glücklich diese Entscheidung war!
Drei von uns fahren per Taxi ins Hotel, Steffi und ich gehen zum Campingplatz und treffen dort Andreas Umbreit von dem wir die Pulken leihen wollen. Er führt uns zu einem alten, total verrosteten Schiffscontainer. Die Türen sind festgefroren, genauso wie die beiden Planken die schräg gegen die Tür gelehnt sind. Ich denke an mein Eisgerät, das gerade mit dem Taxi davonfährt, nehme etwas angenervt einen großen Stein und fange an auf den Türen und Planken herumzuhauen. Natürlich geht zuerst die falsche der beiden Türen auf, aber zu guter letzt finden sich neben allerlei Müll auch zwei absolute Spitzenpulken in dem Container: So groß wie eine Jolle vom Starnberger See! Sowas hatten wir nicht erwartet. Da wir eh nicht wissen wie es weitergeht und so große Pulken nirgends unterbringen können lassen wir alles an Ort und Stelle, steigen in Andreas Auto und fahren in den Ort. Nächstes Problem: die Knarre. Andreas bringt uns zum Ingenior G. Paulsen bei dem wir das Schiesseisen reserviert haben. Wir haben Glück: der Laden wird am Nachmittag für 2 Stunden aufmachen. Durchatmen. Mit den guten Neuigkeiten geht’s dann ins Hotel. Hier hängen die anderen schon an der Bar und ergeben sich dem Schicksal. ‚Sober and reliable‘ waren die Grundvoraussetzungen für die Aushändigung der Waffe….wir geben uns größte Mühe bei unserem Besuch beim Ingenieur und Jürgen bekommt ohne Probleme das Gewehr und die Signalpistole. Zumindest dieses Problem ist gelöst.
Am nächsten Morgen wollen wir einen der Postler ausfindig machen um Problem Nr 2 zu lösen. Noch haben wir kein Zelt und kein Essen!
Nächster Morgen und echtes Sauwetter… Ich bin heilfroh bei diesem Sturm nicht im Zelt liegen zu müssen. Aber wir haben auf Umwegen die Postlerin erwischt und holen unseren Kram ab. Den Rest des Vormittags hängen wir in der Lobby des Hotels und beschäftigen uns mit lachen. Ist ja eh alles was man tun kann wenn kurz darauf die Fenster bis zur Hälfte im Schnee versinken. Nachmittags schaut eher aus Bewegungsdrang noch ein kurzer Ausflug aufs Longyearbreen raus, aber das wars. Schnee, Sturm und keine Sicht lassen und bald umkehren. Abends wieder an die Bar. Wir haben ja keine andere Wahl!
Der nächste Morgen bringt strahlenden Sonnenschein. Die erste richtige Skitour, spontan zum Trollsteinen. Wir wollen durchs Endalen aufsteigen, werden aber bald von einer Schlucht die aus dem Gruvedalen herausläuft gestoppt. Erste Lektion: 100.000er Karten verheimlichen eine Menge!!

Wer hätte das gedacht. Also eben den etwas steileren Weg an der Westflanke des Gruvedalen hinauf auf die Hochebene. Der Hang leitet uns unter einen Felsriegel, den wir kurz raufklettern auf die Hochebene über Longyearbyen.

Jürgen ist vor mir oben, ich sehe schon sein Grinsen und gebe Gas. Juchitzer, Hammeraussicht! Alles weiß! Arktis! Und wir mitten drin! Endlich!!! Dana kommt rauf, wirft ihre Ski über die Kante, krabbelt den letzten Meter durch den Fels und hält im Aufstehen inne. Wir sehen ihn fast gleichzeitig… Ursus maritimus… Ca. 2km südwestlich von uns bewegt sich etwas, bräunlich-gelb und riesengroß. Ich schaue in den Schnee vor uns und da sind auch noch Spuren. Wir nehmen die bewährte Verdrängungsoption, lassen die Ski stehen und gehen zu Fuß den abgeblasenen Grat nach Norden zum Punkt 371 um die Aussicht auf Longyearbyen und den Adventfjorden zu genießen. Auf dem Rückweg ist Jürgen ein sehr beliebter Partner: Er hat die Knarre, jeder bleibt nah bei ihm. Am jenseitigen Talhang werden es immer mehr Bestien. Drei. Sieben. Am Ende ein Dutzend. Mit Jungen! Invasion! Wir haben nur 10 Schuss vom Ingenieur bekommen. Panik…Verzweiflung….und dann die Gewissheit… Es sind Rentiere.Wieder beruhigt tauche ich ein in die Landschaft. So weit ich sehe nur weiß, nur Schnee und Eis, und ein Skiberg nach dem nächsten. Das Gefühl des Unterwegsseins kommt auf. Bestimmt, aber ganz langsam keimt es und es wird mir klar dass ich angekommen bin. Warum mache ich was anderes? Alles fällt leicht, die Notwendigkeiten diktieren die Abläufe. Darüber hinaus gibt es nur Schlaf und Gespräche. Das reicht mir, es wird mir wieder klar wie auf jeder Tour. Aber noch nie so intensiv.
Bei der Abfahrt vom Trollsteinen die unerwartete Wende: Jürgen stürzt; Schmerzen im Knie. Noch warm vom Aufstieg geht die Abfahrt sauber durch, und keiner außer Jürgen denkt sich was. Im Hotel wird im Lauf des Abends und der Nacht klar, dass wir ein neues Problem haben. Jürgen nimmt den nächsten Flug nach Hause. Wir ahnen noch nicht wie schlimm die Verletzung tatsächlich ist: Innenband ab, Meniskus eingerissen.
Während Jürgen versucht einen Heimflug zu bekommen, paradoxerweise mit der Maschine, die sein Gepäck bringt, zerren wir, jetzt nur noch zu viert, die Pulka aus dem Container und ziehen sie zum Mary Ann, unserem Hotel. Aufpackeln und los. Kein gutes Gefühl zu viert loszuziehen. Jeder hat ein schlechtes Gewissen weil Jürgen zurück bleibt. Wir hatten uns alle auf den Moment gefreut gemeinsam, zu fünft, die Pulka aus Longyearbyen rausrumpeln zu lassen. Zu allem Übel regnet es auch noch. Der ursprüngliche Plan eine Runde durch das Nordenskjöld Land zu drehen ist allein zeitlich nicht mehr machbar, und so stellen wir das Zelt als Basislager zwischen Foxdalen und Janssondalen auf. Der Platz ist absichtlich exponiert mitten im Flussbett, um das Gelände besser überblicken zu können. Dafür gibt’s den Wind ungefiltert. Es regnet und ist ungemütlich, sodass wir den ersten Tag fast komplett im Zelt verbringen, nur ein kurzer Ausflug auf den Janssonhaugen gegen Abend war drin. Über Nacht dreht der Wind auf Ost, das ist das ersehnte Zeichen, und tatsächlich: Bald ist kaum noch eine Wolke am Himmel! Die nächsten Tage bringen etwas durchwachsenes Wetter. Wir können zwei herausragend schöne Skitouren auf Gipfel rund um das Foxbreen und nahe des Bogerbreen machen. Eine Skitour auf das Hallwylfjellet brechen wir auf dem Glottfjellbreen wegen einem Sturm und den dadurch unangenehmen Temperaturen ab.Grundsätzlich ist der Großteil der Gipfel in der Region mit Ski besteigbar. Allerdings braucht es einige Zeit bis man sich an das Gelände und die Karte gewöhnt hat. Selten ist es möglich seitlich in Flussbetten einzuqueren, aus der Karte ist das aber nie ersichtlich. Die Ufer sind oft stark überwächtet und kaum niedriger als 5 oder 6 Meter. Wir lernen nach und nach: Lieber einen Umweg in Kauf nehmen und an der Mündung rein. Ebenfalls anders als zu Hause: Höhenmeter und Distanz drehen sich hier einfach um. Die längste Skitour hatte nur 1200hm dafür aber nahezu 30km Gehstrecke. Dazu kommt, dass aufgrund des schlechten Kartenmaterials immer wieder Umwege notwendig sind oder ganz auf den anvisierten Gipfel verzichtet werden muss. Diesen Umstand sollte man vor allem dann bedenken wenn man ein unbekanntes Tal für die Abfahrt wählt.
Bei allem was schief gegangen ist, bei allen Katastrophen auf diesem Trip: Noch nie durfte ich einer so eindrucksvollen Landschaft unterwegs sein. Unsere Skitouren sind an Schönheit, Einsamkeit und Unberührtheit kaum zu überbieten. Entsprechend stark sind die Eindrücke die man sammeln darf, und genau damit zufrieden einschläft. Das Wichtigste aber: Ich bin mit ein paar Bekannten gekommen und bin mit neuen Freunden nach Hause gefahren.

Wo……………………….

 

 

Egal wo. Man kann überall Skitouren unternehmen. Wir waren nah bei Longyearbyen im Adventdalen. Für den ersten Trip war das genau richtig um Erfahrung zu sammeln und um die unvermeidlichen Fehler zu machen. Weiter Nördlich, z.B. im Atomfjella gibt es nach Aussage von Locals wesentlich mehr und besseren Schnee.
Anfahrt…………………
Flüge von Oslo nach Longyearbyen mehrmals die Woche. Vor Ort Snowscooter, Helikopter oder by fair means

Eisbären………………

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine Großkalibrige Waffe ist Pflicht. Das wird spätestens dann klar wenn man sieht das keiner der Locals ohne Knarre auch nur einen Kilometer vom Ort weggeht. Zusätzlich sollte eine Signalpistole mit Knallmunition mitgeführt werden. Diese vertreibt die Bären recht zuverlässig.

Wir hatten keinen Bärenzaun. Bewusst haben wir uns gegen einen Zaun und für die Nachtwache entschieden. Die Zäune die man mieten kann sind nur wenige Meter um das Zelt gespannt, die Reaktionszeit ist minimal und ich will nicht wissen was passiert wenn man dann den Kopf aus dem Zelt streckt. Bärenwachen sind allerdings auch nicht ohne. Man wird halt ständig im Schlaf unterbrochen. Wir wollen ja Sport machen und das stört die Regeneratin schon ganz ordentlich, vor allem wenn man das Pech hat eine Wache “in der Mitte” zu haben. Bei schlechtem Wetter kann man auch schon bei völlig moderaten Temperaturen nicht mehr vorm Zelt bleiben. Der Wind saugt in kürzester Zeit alle Wärme raus. 2 oder 3 Stunden sind so kaum durchzuhalten. Eine gute Lösung scheint eine Idee von einem Schweizer Bergführer zu sein den wir kennengelernt haben. Er hat sich einfach einen 50X50m Bärenzaun selbst gebaut. Dies erscheint mir als optimale Lösung.

Benzin oder Gas?…………………….
Sowohl Benzin wie auch Gas sind verfügbar. Nur auf Gas zu setzen war ein Fehler. Beim nächsten Mal würde ich einen Benzinkocher fürs Schneeschmelzen und ein oder mehrere Jetboil Systeme für das heisse Wasser mitnehmen.

Führer………………….

keiner
Karte…………………..
Norsk Polaristitutt 2008 C9 Adventdalen. z.B. über www.arktisversand.de